Ich habe auf juwiss.de
das EuGH-Urteil
im Fall Rs C-131/12, Google Spain SL und Google Inc. gegen Agencia
Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González besprochen.
Hier nun eine ausführlichere Version meines dortigen Blogbeitrags mit einigen
einleitenden Kommentaren und etwas Kontext zur Rolle von Google.
Ja: Das Google-Urteil des EuGH ist heute in aller Munde. Markus
Beckenndahl ist eher positiv
gestimmt, während Udo Vetter die Gefahr sieht, dass Suchmaschinen noch
„weniger die Wirklichkeit“ abbilden als heute. Thomas Stadler setzt das Urteil mit
den Netzsperren gleich und sieht einen „gefährlichen Paradigmenwechsel“. Die Politik hingegen –
so Bundejustizminister
Heiko Maas, der gründe EP-Abgeordnete und Datenschutzvorkämpfer Jan
Philipp Albrecht und Peter
Schaar, der ehemalige Bundesbeauftragter für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit – ist
erfreut.
Urteil in aller
Munde
Besonders glücklich sind die „konservativen Google-Kritiker in den Zeitungen“, wie der Perlentaucher leicht süffisant schreibt, die
eigentlich „ihre eigene gerichtlich
verfügte Irrelevanz“ bejubeln. Die Welt spricht von einem Schritt zur „Rückeroberung
des Cyberspace für den Internetbenutzer".
Andererseits hat die Satire-Seite des Spiegels durchaus Recht: Die weltweite Berichterstattung über den Kläger garantiert, dass nun jeder weiß, dass er einmal gefpändet wurde. In der digitalen Zeit sind die Michael Kohlhaases unserer Zeit sicher im Nachteil.
Andererseits hat die Satire-Seite des Spiegels durchaus Recht: Die weltweite Berichterstattung über den Kläger garantiert, dass nun jeder weiß, dass er einmal gefpändet wurde. In der digitalen Zeit sind die Michael Kohlhaases unserer Zeit sicher im Nachteil.
Diese Dimension sehen die Zeitungen aber heute nicht. In der FAZ titelt
Reinhard Müller, dass die Welt „keine Google“ sei und kopiert eine Wendung von Google-Kritiker
Gerald Reischl aus einem vor sechs Jahren erschienen Buch.
Müller schreibt siegesbewusst, dass Google – „der Riese“ – „getroffen“ sei. Triumphtöne klingen
an, wenn er fortfahrt:
„Der mächtigste Konzern der Welt ist einer Macht
unterlegen, die keine Truppen hat. Der Europäische Gerichtshof setzt den Bürger
in den Mittelpunkt und dem Internetsuchdienst Google Grenzen.“
Er schreibt auch, dass „[j]eder Betroffene hat einen
Anspruch gegen Google auf Löschung sensibler Daten.“ Dies ist zu unscharf. Der
Anspruch bezieht sich nur auf bestimmte Daten und nur auf die Ergebnisliste.
Ebenfalls inexakt ist Mathias Müller von Blumencron, wenn er ebenfalls in der FAZ schreibt,
dass es nun „doch ein Recht auf Vergessen werden im Internet“ gibt. Nein: das
gibt es nicht.
Gleich daher an dieser Stelle: Wenn Informationen „in Anbetracht
aller Umstände des Einzelfalls“ nicht mehr zweckerheblich verarbeitet werden, müssen
„die betreffenden Informationen und Links [aus] der Ergebnisliste gelöscht
werden“ (Abs. 94). Dieses Recht des Einzelnen ist abzuwägen gegenüber den wirtschaftlichen
Interesse des Suchmaschinenbetreibers und
„dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die Information bei einer
anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden“, wobei
solch eine Situation aber die Ausnahme sein werde, da „besondere[] Gründe[]“,
wie die „Rolle der betreffenden Person
im öffentlichen Leben“ vorliegen
müssten, die den Schluss zulassen, dass ein Eingriff in die Grundrechte dieser
Person durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an ihr gerechtfertigt
sei (Abs. 97).
Die konkreten
Auswirkungen des Urteils sind naturgemäß unklar. Ein Indiz dafür, dass sich
nicht viel ändern wird, könnte die Tatsache sein, dass es nach dem
Autocomplete-Urteil des BGH keine Klagswelle gegen Google gegeben habe, wie die
FAZ einen Anwalt zitiert.
Anlass zum Google-Bashing?
Das große
mediale Echo des Urteils versteht man vor dem Hintergrund der in den letzten
Wochen geführten Debatte um die Rolle von Google
Nachdem
Mathias Döpfner in Feuilleton der FAZ in Reaktion auf ein Selbstlob Eric Schmidts leicht larmoyant nach staatlicher Regulierung rief, begann eine doch bemerkenswerte
Diskussion um die Rolle von Google in der Informationsgesellschaft. Überschriften
wie „Angst vor Google“, „ Google ou la route de la
servitude“, „Warum wir Google fürchten” , „Die Google-Gefahr“, „Dark
Google“ schafften ein Klima, in dem nur schwer sachlich argumentiert werden
konnte.
Harvard-Professorin Shoshana Zuboff etwa warf Google neo-absolutistische
Machtfülle vor und schrieb „[o]ur demands for self-determination are not easily
extinguished. We made Google, perhaps by loving
it too much.” Zu viel Liebe für
Google kann man dem Feuilleton zur Zeit nicht vorwerfen. Besser aber als grundsätzliche
Kritik sind Diskussionen über Alternativentwürfe, wie einen freien Web-Index.
Was sagt das Urteil wirklich?
Große Kammer
des EuGH hat mit Urteil vom 13.5.2014 zu Rs C-131/12, Google
Spain und Google, die Rechte von Bürgern im Internetzeitalter maßgeblich
gestärkt. In einem 2012 von der spanischen Audiencia Nacional initiierten
Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung von Art. 2 Datenschutzrichtlinie (RL
95/64) und den Grundrechten auf Datenschutz und Achtung der Privatsphäre wies
der EuGH Google an, erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um bestimmte
personenbezogene Daten aus dem Index der Suchmaschine zu entfernen und den „Zugang
zu diesen Daten in Zukunft zu verhindern“ (Abs. 2).
Mario Costeja
González hatte vor der AEPD Beschwerde gegen La Vanguardia, eine katalonische Zeitung, Google Spain und Google
Inc. erhoben, da eine Google-Suche nach seinem Namen (‚Namenssuche‘) zu Links
auf zwei Artikel aus der Zeitung vom 19.1. und 9.3.1998 führt, in denen unter
Nennung seines Namens auf die Zwangsversteigerung eines Grundstücks hingewiesen
wird. Die Audiencia Nacional, vor der das Verfahren landete, ersuchte den EuGH
um Klärung der Verpflichtungen von Suchmaschinenbetreibern hinsichtlich des
Schutzes personenbezogener Daten im Lichte von GRC und DatenschutzRL und der
Tragweite des „Rechts auf Vergessenwerden“.
Erhebliche Gefahr für Grundrechte
Zunächst wies
der EuGH Googles Argument zu Art. 2 (b) RL 95/46 zurück, dass
Suchmaschinen keine Daten verarbeiteten, da sie nicht zwischen personenbezogenen
Daten und anderen Informationen unterschieden (Abs. 22). Der
Suchmaschinenbetreiber sei auch „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ iSd
Art. 2 (d) RL 95/64 (Abs. 33), zumal
Suchmaschinen „maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung
personenbezogener Daten“ hätten. Ohne sie würden nach bestimmten Namen Suchende
diese Informationen nicht finden (Abs 36). Dies gefährde Grundrechte
„erheblich“; und deshalb hätten Suchmaschinenbetreiber in ihrem
„Verantwortungsbereich im Rahmen [ihrer] Befugnisse und Möglichkeiten“ dafür zu sorgen, dass grundrechtliche
Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten können (Abs. 38).
Hinsichtlich
der räumlichen Anwendbarkeit der RL betonte der EuGH, dass der
Unionsgesetzgeber aus Schutzgründen einen besonders „weiten räumlichen
Anwendungsbereich“ vorgesehen habe (Abs.54) und daher Verarbeitungen von
personenbezogener Daten „im Rahmen der Tätigkeiten“ einer Niederlassung nicht
dadurch ausgeschlossen werden können, dass die Verarbeitung selbst außerhalb
des Territoriums (etwa in den USA) durchgeführt werde. Es reiche aus, wenn der Suchmaschinenbetreiber
aus wirtschaftlichen Erwägungen eine Zweigniederlassung oder
Tochtergesellschaft gegründet habe, „ deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses
Staates ausgerichtet“ sei; wo die konkrete Verarbeitung der Suchanfrage
stattfinde, könne dahingestellt bleiben.
Link-Löschpflicht für Google
Die zentrale Kontroverse lag
allerdings im Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers nach
der Richtlinie 95/46, insbesondere in der Frage, ob Suchmaschinenbetreiber dazu
verpflichtet werden können, Links zu Webseiten Dritter mit Informationen zu
einer bestimmten Person zu entfernen, auch wenn Name und Informationen auf
dieser Webseite nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht würden und wenn ihre
Veröffentlichung auf den Internetseiten des Dritten als solche rechtmäßig sei
(Abs. 62). Google war dagegen der Ansicht, dass der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete, dass Löschungsanträge an den Herausgeber
der betreffenden Website zu richten
seien (Abs. 63). Diesem Ansatz folgte der EuGH nicht.
(Detail am
Rande: Als einzige Regierung vertrat die österreichische die Auffassung, dass
Löschungsanordnungen an Suchmaschinen nur möglich seien, wenn die betreffenden
Daten „rechtswidrig oder unzutreffend seien“ oder schon von der ursprünglichen
Website gelöscht wurden (Abs. 64)).
Der EuGH
betont, dass die RL 95/64 im Lichte der Grundrechte auszulegen sei und
insbesondere Art. 7 (Recht auf Achtung des Privatlebens) und Art. 8 GRC
(Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten) zu beachten seien (Abs. 68f).
Die durch Suchmaschinenanbieter ausgeführte Verarbeitung persönlicher Daten
könne die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz „erheblich
beeinträchtigen“, da Namenssuchen einen „strukturierten Überblick“ über
Informationen zu dieser Person ermöglichen. Außerdem verleihe die
gesellschaftliche Funktion des Internets den Suchergebnissen Ubiquität (Abs. 80).
Gesucht: Angemessener Interessensausgleich
Allerdings sei
ein angemessener Ausgleich zwischen dem „berechtigte[n] Interesse von
potenziell am Zugang zu der Information interessierten Internetnutzern“ und den
Grundrechten der betroffenen Person aus den Art. 7 und 8 der Charta zu
finden. „[I]m Allgemeinen“ würde dieser Ausgleich zugunsten der gesuchten
Person ausgehen, in „besonders gelagerten Fällen“ könne er aber „u.a. je nach
der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt“ variieren (Abs. 81).
Das Fazit des
EuGH daher: Suchmaschinenbetreiber könnten von Datenschutzbehörden angewiesen
werden, aus der Ergebnisliste von Namenssuchen Links zu Seiten von Dritten mit
Informationen über diese Person zu entfernen (Abs. 82, 88).
Ein Recht auf
Vergessenwerden?
Hinsichtlich des Rechts auf Vergessenwerden verweist der
EuGH darauf, dass die rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten durch
Zeitablauf unrechtmäßig werden könne, wenn der Zweck wegfalle oder in
Anbetracht der verstrichenen Zeit die Erheblichkeit der Daten für den
Ursprungszweck sinke (Abs. 93).
Hier sei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen: Wenn die Informationen
„in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls“ nicht mehr zweckerheblich
verarbeitet wird, müssen „die betreffenden Informationen und Links der
Ergebnisliste gelöscht werden“ (Abs. 94). Dies sei ein Recht der betroffenen
Person, wobei ein Schadensnachweis nicht nötig sei (Abs. 96).
Verabsolutiert dürfe das Recht nicht werden: Es sei
abzuwägen gegenüber den wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers und „dem Interesse der breiten
Öffentlichkeit daran, die Information bei einer anhand des Namens der
betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden“. Solch eine Situation werde
aber die Ausnahme sein, denn der EuGH verlangt „besondere[] Gründe[]“, wie die „Rolle der betreffenden Person im öffentlichen
Leben“ , die den Schluss zulassen, dass ein Eingriff in die Grundrechte dieser
Person durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an ihr gerechtfertigt
sei (Abs. 97).
Im Anlassfall sei die die Information sensibel, die
Veröffentlicht liege 16 Jahre zurück und keine besonderen Gründen lägen vor,
die ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigten (Abs. 98).
Daher müsse Google den Link löschen.
Überraschende Wende
Dieses Ergebnis überraschte auch, weil noch die Schlussanträge des
Generanwalts Niilo Jääskinen vom 25.6.2013 zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen
waren. Er wies ein allgemeines Recht auf Vergessenwerden mit starken Worten
(„kämer einer Geschichtsverfälschung gleich“) zurück (Abs. 108 und 129).
Vielmehr habe der Internetnutzer ein Recht auf Zugang zu dieser Information:
Dieser „mache aktiv von seinem Recht
auf Empfang von Informationen über die betroffene Person aus öffentlichen
Quellen Gebrauch“ (Abs. 130). Auch der Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter mache Gebrauch
von seiner unternehmerischen Freiheit und von der Freiheit der Meinungsäußerung
(Abs. 132). Einem Recht auf Vergessenwerden, so GA Jääskinen, würden
entscheidende Rechte wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die
Informationsfreiheit geopfert.
Grundrechtliche
Geschichtsmassage
In der Tat stellt die Kollision verschiedener
Grundrechtspositionen hinsichtlich Zugang zu Informationen gerade im Internet eine
Herausforderung dar. Die Konstruktion historischer Wahrheiten auf Grundlage
einer gesellschaftlichen und privaten Selektion aus dem eines Speichers der
Erinnerungen verlangt zumindest einmal einen einigermaßen unverfälschten
Speicher. Wie sonst sich kollektive Positionieren
in Zeit, Raum und Kultur? Allerdings übersieht GA Jääskinen, dass ja nicht
Geschichtsfälschung betrieben wird.
Auch weiterhin kann jeder Interessierte im Archiv von La Vanguardia sämtliche
Zeitungsseiten bis ins 19. Jahrhundert konsultieren. Die Löschung des Links
bedeutet bloß, dass die Verknüpfung zum Namen nicht mehr so leicht fällt. Dies
entspricht durchaus der sozialisierenden Funktion des Vergessens, die ja auch
teils strafrechtlich bewehrt ist.
Die Entscheidung des EuGH, die im Ergebnis stimmig ist
und der gerade in Hinblick auf die wachsende Bedeutung des Grundrechtsschutz im
Internet zuzustimmen ist, verbleibt teilweise kryptisch. Der Kritierienkatalog
für Gegenausnahmen von der Löschpflicht – „u.a. je nach der Rolle, die die
Person im öffentlichen Leben spielt“ – verbleibt sehr schemenhaft. Man vermisst
auch klare Äußerungen zur grundrechtlichen Position der Interdiensteanbieter,
die zuletzt vom EGMR in Delfi unter
Beschuss genommen wurden.
Screenshot der Namenssuche: 13.5., 15:30 Uhr |
Der Internetrechtler Viktor Mayer-Schönberger argumentiert in Delete, dass Informationen im Internet nach einer Zeit gelöscht werden sollten, um Vergessen zu simulieren. Mit der Löschpflicht für Links hat der EuGH dem Konzept der „expiration dates for information“ eine grundrechtssensiblere Alternative zur Seite gestellt. Nur die Zeit wird zeigen, ob das Urteil als Einfallstor für „Geschichtsmassage“ missbraucht wird und ob auch Unternehmen beginnen werden, mithilfe des EuGH ihr Auftreten in Google zu optimieren. Bei Löschansprüchen für schlechte Reviews von Restaurants zB wird aber wohl regelmäßig das öffentliche Interesse dominieren.
Ganz so schnell arbeitet Google übrigens nicht. Am 13.5., um 15:30
Uhr lieferte eine Namenssuche nach „Mario
Costeja Gonzalez“ über Google Search den Link auf die inkriminierte Seite im La Vanguardia Archiv immer noch als
dritten Treffer.
Aber eines wird Herrn Costeja freuen: Der erste Treffer
ist nunmehr das Urteil, das ihm Recht gibt.
Nachtrag: Auch am 14.5., 12:00 Uhr, ist der Link noch zu sehen. Diesmal als vierter Treffer:
Screenshot der Namenssuche: 14.5., 12.05 Uhr |