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Zwischen Völkerrecht, Staatsrecht und Europarecht gibt es verschiedene normative Ansätze, die sich aufeinander beziehen und verstärken.
Auf dem Völkerrechtsblog habe ich dazu einige Überlegungen veröffentlicht. Diese erscheinten in drei Teilen: gestern, heute und morgen.
Das Recht auf Internet zwischen Völkerrecht, Staatsrecht und Europarecht (I)Von Matthias C. KettemannDie aktuellen Entwicklungen um die wachsende Anzahl von Flüchtlingen in Europa führen Debatten in nicht erwartete Richtungen. So dynamisiert die Frage, inwieweit Flüchtlingsunterkünfte mit WLAN, womöglich ‚Freifunk‘, ausgestattet werden können, die Diskussion um das Recht auf Internetzugang. Natürlich muss der Staat nicht jedem Flüchtling ein Smartphone zur Verfügung stellen. Das lässt aber das Grundrecht auf Internetzugang unberührt. Teil I des Beitrages widmet sich der völkerrechtlichen Begründung dieses Rechts; Teil II dem Leistungsanspruch, der sich aus dem der sich aus dem Verfassungsrecht auf Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt; Teil III zeigt, dass dieses Grundrecht ein Menschenrecht ist, das auch Asylwerbern zukommt und schließt mit einem Update zum Europäischen Recht.„Wo kämen wir da hin?“Zuletzt behandelten zwei Kommentare in der Süddeutschen und der FAZ das Thema aus unterschiedlicher Sicht. In einem Beitrag für die in der Süddeutsche Zeitung über Netzabschaltungen in Indien und Pakistan argumentierte der Politologe Ben Wagner (Frankfurt/Oder), dass Flüchtlinge, die nach Deutschland kämen, ein Recht auf Internetzugang hätten – und dies nicht nur um „nach Hause zu telefonieren“. Kritiker, so Wagner, würden verkennen, dass „Zugang zum Internet ein zentraler Weg ist, um Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Das Internet bedeutet Zugang zu Bildung, zu Unterhaltung und Kultur, es ist Grundlage für soziale Teilhabe. Zurzeit wird die oft vorhandene räumliche Trennung von Flüchtlingen zur Gesellschaft durch eine weitere digitale Abschottung verstärkt. So kann Integration nicht funktionieren.” Dies veranlasste Jürgen Kaube in der FAZ zu einer sehr kritischen Reaktion: „Wo kämen wir da hin?“, wenn der Staat Flüchtlingen Endgeräte zur Verfügung stellen müsste – noch dazu als Ausfluss eines Menschenrechts auf Internet.Zwei Dimensionen des InternetzugangsOhne Zugang zum Internet (Infrastrukturdimension) und Zugang zu Internetinhalten (Inhaltsdimension) können Menschen nicht am Möglichkeitsraum des Internets teilnehmen. Alle Menschenrechte – zumal Zugang als Voraussetzung der Ausübung aller Menschenrechte online und die Meinungsäußerungsfreiheit als zentrale Freiheit im Internet – werden unaufgeregt auf das Internet, das als technische Einrichtung selbst eine katalysierende Funktion für die Ausübung der Menschenrechte hat, übertragen. Kurz: Was offline gilt, gilt auch online.Dies bestätigt periodisch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, zuletzt in seiner Resolution aus 2014, in der er die Staaten auffordert, „to promote and facilitate access to the Internet”.Ähnlich ist der Ansatz, den eine Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Right to Internet Access verfolgt. Sie ruft die Mitgliedstaaten des Europarates dazu auf sicherzustellen, dass „everyone shall have the right to Internet access as an essential requirement for exercising rights under the European Convention on Human Rights”.Inzwischen wird nicht mehr die Kodifizierung eines „Rechts auf Internet(zugang)“ gefordert. Warum auch: Es lässt sich dogmatisch sehr gut als Vorbedingung der Ausübung anderer Rechte konstruieren, wie dieser prägende UN-Bericht von 2011 aufzeigt: Das Internet sei ein „catalyst for individuals to exercise their right to freedom of opinion and expression”; es „facilitates the realization of a range of other human rights” (Abs. 22). Gleichzeitig sei die Meinungsäußerungsfreiheit “as much a fundamental right on its own accord as it is an “enabler” of other rights” (Abs. 22). Zugang zum Internet ist Voraussetzung zur Ausübung der Kommunikationsfreiheiten. Diese wiederum haben eine katalysierende Funktion für alle anderen Rechte.In einer Gesamtschau lässt sich also mit guten Gründen argumentieren, dass ein Recht auf Internetzugang im Völkerrecht besteht. Artikel 19 Abs. 2 des Zivilpaktes kann in diesem Sinne ausgelegt werden. Er schützt die Verbindungstechnologien, indem er Meinungsäußerung durch „any […] media of [one’s] choice“ absichert. Der Menschenrechtsausschuss bestätigt zwar die abwehrrechtliche Dimension der Artikels in seinem General Comment No. 34 zu Artikel 19 (zB Abs. 13), zeigt aber auch die Leistungsdimension auf. Dem Völkerrecht eigen ist die sachte Ausdrucksweise: „States parties should take all necessary steps to foster the independence of these new media and to ensure access of individuals thereto” (Abs. 15).UNO: Internet ist entscheidend für die EntwicklungDie Entwicklung des Völkerrechts schreitet voran und der Mensch rückt ins Zentrum: Staaten haben erkannt, dass das Recht auf Internetzugang in der Praxis zu verwirklichen entscheidend ist für die menschliche Entwicklung. In der Agenda for Sustainable Development für 2030 bekennen sich die Staaten der Vereinten Nationen dazu, bis 2020 universellen und leistbaren Internetzugang in Entwicklungsländern zu sichern (Ziel 9c). Wie wollen sie das erreichen? Die Global Connect Initiative der USA ist hier beispielhaft. Auch Unternehmen ließen sich inspirieren: Anlässlich des UNO-Gipfels zur Agenda 2030 initiierte Facebook die „Connect The World“-Kampagne. Das ist mehr als ein Marketing-Gag.Dominierende Technologieunternehmen kann aus dem Recht auf Zugang als Voraussetzung zur Ausübung anderer Menschenrechte eine „corporate responsibility to respect“ auferlegt werden, wie sie sich insbesondere aus den Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations “Protect, Respect and Remedy” Framework ergibt. Facebook entwickelt Solar-Drohnen, die Internetzugang in entlegenen Gebeten sichern sollten. Google hat mit Sri Lanka den ersten Staat für sein „Project Loon“ gewinnen können, das Internetzugang über Ballone bieten soll. Diese Projekte scheinen zwar vordergründig der Implementierung des Rechts auf Zugang zu dienen, doch werfen sie sowohl im Detail (Zero Rating) als auch dem Grunde nach Probleme auf: Sollen Staaten wirklich im Verzicht, grundlegende Kommunikationsinfrastruktur selbst aufzubauen, bestärkt werden und auf die Gesetze des Marktes (oder die mittelfristige Freigiebigkeit multinationaler Unternehmen) setzen? Hier sind Zweifel berechtigt: Schon im Ruggie-Framework verbleibt bei Staaten die „duty to protection human rights.“Ich komme zu einem ersten Fazit: Das Völkerrecht schützt den Zugang zum Internet in beiden Dimensionen als Menschenrecht. Die abwehrrechtliche Dimension des Zugangs zur Internet-Inhalten wirft wenig elementare Fragen auf. Schwieriger ist es, die positivrechtliche Dimension des Zugangs im Bereich der Infrastrukturdimension auzubuchstabieren. Dennoch kann im Lichte der herausragenden Bedeutung des Internets für die Realisierung aller Menschenrechte der physische Zugang zum Internet nur als völkerrechtlich geschützt gedeutet werden.Um es einfach zu machen: Ohne Zugang keine Meinungsäußerung bei freier Wahl des Kommunikationsmediums. Konkrete Leistungsansprüche gegen Staaten gewinnen indes vor der Folie des nationalen Verfassungsrechts verstärkt an Kontur. Wie sich die Situation in Deutschland darstellt werde ich in Teil II behandeln.Als Teaser: Ein Grund- und Menschenrecht auf Internetzugang kann als individueller unmittelbarer verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch konzipiert werden.Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), ist Post-Doc Fellow am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main und arbeitet zu Recht und Macht im Internet und bloggt. Für den Europarat war er Mitverfasser Studie Freedom of Expression on the Internet (2014). Der Beitrag beruht auf einem Gutachten des Verfassers zum „Völkerrecht des Netzes“ für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das bei der #DigiKon15 in Berlin am 25.11.2015 vorgestellt wird.
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