Der neue Blog für junge Völkerrechtsinteressierte |
Was EJIL:Talk! für englischsprachige VölkerrechtlerInnen, JuWiss für das öffentliche Recht, der theorieblog für die Rechtstheorie und Markus Beckendahls netzpolitik.org für Internetpolitik, ist nun der Völkerrechtsblog für die jungen Völkerrechtsinteressierten.
Das engagierte Team aus Heidelberg eröffnet mit einem Symposion in rascher Folge veröffentlichter Beiträge zum zentralen Thema "Zukunft des Völkerrechts". Wie Dana Schmalz und Michael Riegner vom Redaktionsteam schreiben,
"Anhand konkreter Streitfragen diskutieren NachwuchswissenschaftlerInnen inhaltliche, methodische und transdisziplinäre Aspekte der Zukunft des Völkerrechts und seiner Wissenschaft in ihrem spezifischen Forschungsgebiet. Wie wird sich das Völkerrecht im jeweiligen Forschungsfeld in den nächsten 30 Jahren verändern? Wie wandeln sich Völkerrechtssubjekte, Streitbeilegung, internationale Institutionen? Wie die Nord-Süd-Beziehungen, wie das Verhältnis von Geschlecht und Recht? Wie beeinflussen technologische Entwicklungen das Völkerrecht und die Kommunikation über Völkerrecht? Welche Methoden werden kommen und gehen?"
Eröffnet wurde der Blog mit einer Diskussion zum Internetvölkerrecht. Auf meine Proposition antwortete Michael Riegner; und ein Rejoinder von mir schloss sich an, der aber nicht darauf abzielte, die Debatte um die Rolle von Völkerrecht in der Regulierung des Internets zu beschließen - denn für diese ist die Zeit reif.
Sämtliche Beiträge sind auf dem Völkerrechtsblog nachzulesen:
- [Proposition] Kettemann, Grotius goes Google vom 2. Mai 2014
- [Antwort] Riegner, Grotius has a long way to go vom 5. Mai 2014
- [Rejoinder] Kettemann, Die Berichte über den Tod des Internetvölkerrechts sind stark übertrieben vom 9. Mai 2014
Für die Website habe ich meinen Rejoinder gekürzt, mit Erlaubnis des Völkerrechtsblogs (zweit)veröffentliche ich hier eine Langfassung:
Die Berichte über den Tod des
Internetvölkerrechts sind stark übertrieben: Eine Antwort auf Michael Riegner
Von Matthias C. Kettemann
Ich begrüße die
Möglichkeit, über meinen „Glauben an [die] Gestaltungskraft und [das]
Gerechtigkeitspotenzial des Völkerrechts“ zu diskutieren, darf aber gleich
darauf hinweisen, dass bestimmte Festlegungen nötig sind, um nicht in infinite Regresse
abzugleiten. Schwierig wird es, wenn selbst das Gerechtigkeitspotenzial der völkerrechtlichen Ordnung
in Abrede gestellt wird. Warum noch über die konkrete Ausgestaltung des
Völkerrechts reden, wenn die normativ eingehegte Ordnung ohnedies nicht gerecht
sein kann – da sie „hegemonial“ beeinflusst ist.
Das erinnert dann
doch stark an staatskritische Ansätze, die dem Recht die Legitimation
absprechen (und es als vermachtet sehen), weil es das Recht der Mächtigen (die
Macht haben) ist. Aber Recht ist nicht (nur) Macht, wie ich hier gezeigt habe: das Völkerrecht ist eben keine Machtordnung,
sondern eine (imperfekte) Rechtsordnung – und eine Rechtsordnung aus
Notwendigkeit. Wer überall nur Macht und Vermachtung sieht (im Recht, in den
Praktiken, in der Sprache …) und nicht auch normative Ordnung(en), verkennt die
faktische Kraft des Normativen und fällt in kognititionspsychologischer
Betrachtung Verfügbarkeitsheuristiken zum Opfer.
(Man liest zur
Zeit häufig: „Das Völkerrecht ist zahnlos. Es hindert Putin ja nicht, die Krim
zu annektieren“. Wie verfehlt die Grundannahme hinter dieser Aussage ist, zeigt
eine nationale ‚Übersetzung‘ aus eigener leidvoller Erfahrung: „Das
österreichische Recht ist zahnlos. Ein Dieb hat mein Rad geklaut.“ Der Dieb
weiß, dass er das Recht bricht. Er stiehlt, um sein Eigentum zu mehren. Er hat
besonders Interesse an einer Eigentumsordnung, die das Recht stabilisiert.
Interessengeleitetes Handeln (im Einzelfall) und regelgeleitetes Handeln (im
Grundsatz) müssen sich nicht widersprechen.)
Völkerrecht und
dessen Grundsätze können und sollen diskutiert werden, seine Annahmen müssen
hinterfragt werden, aber das Gerechtigkeitspotenzial
des Völkerrechts kann nicht in Frage gestellt werden, ohne dem Diskurs die
gemeinsamen diskursiven und normativen Grundlagen zu entziehen.
Es ist wohl auch
nicht eine „deutsche“ Tradition, der ich folge, sondern eher eine
kritisch-positivistische Tradition, der ich mich verbunden sehe. Verbunden
fühle ich mich auch Michael Riegner, wenn er das Internetvölkerrecht als
„interessen- und machtdurchwirkter Flickenteppich“ beschreibt, der
„determiniert [wird] durch politische und ökonomische Ungleichheiten“, der
„widersprüchlich, hegemonial und potentiell ungerecht“ sei. Ich würde nur
hinzufügen: „wie das Recht generell“, „auch“, „teilweise“, „manchmal“ – und
dann darüber anfangen zu diskutieren, wie das Internetvölkerrecht im Lichte der
Ziele der internationalen Gemeinschaft, wie sie sich unter anderem aus der
UN-Charta, den Menschenrechten und den nachhaltigen Entwicklungszielen ergeben,
fairer ausgestaltet werden kann – und das ist das höchste Ziel jeder
Völkerrechtspolitik. Doch nun zu Michael Riegners Gegen-Thesen im Einzelnen:
„1.
Internetpolitik ist von globalen Interessenkonflikten geprägt“
Dem kann ich nur zustimmen. Doch in Abrede zu stellen, dass sich
ein „globales Interesse an der Integrität und Funktionalität des Internet […] begründen“
lässt, ist problematisch. Von den Schlussdokumenten des Weltgipfels zur
Informationsgesellschaft über die Prinzipiensammlungen diverser internationaler
Organisationen herrscht hier Einigkeit.
Geltendes Völkerrecht schützt funktional die Integrität des
Internets, um bestimmte Ziele – wie den Schutz der Menschenrechte und die
menschliche Entwicklung – zu erreichen. Die richtige Feststellung, dass die „Realität
des Internets […] von Interessenkonflikten, nicht von Interessenkonvergenz
geprägt [ist]“, steht mit dem vorher Gesagten nicht im Widerspruch. Michaels
Aussage müsste nur qualifziert werden, damit ich sie unterschreiben kann. Die
Realität des Internets ist auch von
Konflikten gesprägt und nicht nur von konvergierenden Interessen. Aber das ist
wahrlich nicht überraschend. Denken wir an den Staat: Ja, es herrschen
Interessenkonflikte (über Pensionen, Armutsbekämpfung, Migration, unterirdische
Bahnhöfe), aber über die grundlegenden Staatsziele besteht doch im Wesentlichen
Einigkeit. So ist es im Diskurs um die normative Ordnung des Internets auch.
Doch da die Akteure divergenter sind, die Machtgefälle ausgeprägter, die
Regulierungstechniken unerprobter und die normativen Prozesse erst in
Beta-Stadium sind, ist alles etwas komplizierter.
Natürlich liegt die „Integrität des Internets“ im Interesse der
Staaten – und aller anderen Stakeholder. Hier liegt vielleicht ein
Missverständnis vor: Denn Integrität heißt vereinfacht ausgedrückt „Funktionieren
des Internets“. Es heißt nicht, dass sich Staaten der Internetzensur enthalten.
Warum soll es der Integrität des Internets schaden, wenn Seiten, die der
sexuellen Ausbeutung von Kindern dienen, entfernet werden? Der Kampf gegen
Kriminalität und gegen Ausbetung im Netz dient gerade der Integrität des
Internets, ebenso der Kampf gegen Cyber-Angriffe und das menschenrechtlich
nicht unproblematische informations- und kommunikationstechnologische
Hochrüsten. Ein Vergleich mag helfen: Niemand kann ernsthaft behaupten, dass
der „Menschenrechtsschutz“ nicht im
Interesse der Staaten liege. Und doch foltern Staaten und begehen andere – oft
schwerwiegende – Menschenrechtsverletzungen. Dafür werden sie geächtet. Und mit
der Zeit bessern sie ihr Verhalten (nicht nur, aber auch, das zeigt ja die Compliance-Forschung,
die Michael zitiert, wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen. Gänzlich in
Abrede stellen das ja nur die Völkerrechtnihilisten in der Tradition Goldsmiths
und Posners.) Das Beispiel der Türkei zeigt, wie das internationale System (im
letzten Jahr der EGMR) und auch nationale Gerichte auf Zensurmaßnahmen
reagieren. Etwas zu unaufgeregt vielleicht, aber kein relevanter Akteur hätte
ernsthaft den Twitter-Ban als Zeichen dafür gewertet, dass das
Internetvölkerrecht keine Bindungskraft entfaltet.
Michaels
Argument, dass „[g]roße Konzerne und kleine Internetnutzer, Start-ups und
Produktpiraten, Whistleblower und Hacker“ miteinander ringen, „ohne dass sich
ihre divergierenden Interessen auf den gemeinsamen Nenner des „Schutzes der
Integrität des Internets“ bringen ließen“, muss genau umgekehrt werden. Das Einzige, was sie alle verbindet, ist der
Schutz der Integrität des Internets. Sonst können „große Konzerne“ kein Geld
machen und „kleine Internetnutzer“ keine Videos mit niesenden Pandabären anschauen.
Ich nehme seit
nun fünf Jahren regelmäßig an Konferenzen zur normativen Gestaltung des
Internets teil. Hier wird hoch kontrovers diskutiert. Ich stelle daher kein
„Postulat der Interessenhomogenität“ auf, sondern stecke nur einen Rahmen ab, innerhalb
dessen über die konkrete Ausgestaltung der normativen Ordnung diskutiert wird.
Ins Staatliche gewandt: Die Integrität des Internets, wie sie völkerrechtlich
geschützt wird (normative wie positiv), entspricht der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer diese in Abrede stellt, kann dann
in Folge wenig sinnhaft über die konkrete Ausgestaltung des Staatswesens
sprechen.
Die Verpflichtungserklärung von Tunis (2005) wird heute noch als Grundlage anerkannt
und verdient es gelesen zu werden. Sie legt bei allen ihren Schwächen im
Bereich der normativen Prozesse und der Interaktion der Stakeholder in klarer
Sprache und mit offenem Visier die Zielvorstellung des Internetvölkerrechts
fest. Abs. 2 und 3 können nicht einfach wegdiskutiert werden:
„2. Wir bekräftigen unseren Wunsch und unsere Entschlossenheit, eine den
Menschen in den Mittelpunkt stellende, inklusive und entwicklungsorientierte
Informationsgesellschaft aufzubauen, gestützt auf die Ziele und Grundsätze der
Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und den Multilateralismus sowie
unter voller Achtung und Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, damit die Menschen auf der
ganzen Welt Informationen und Wissen schaffen, abrufen, nutzen und austauschen
können, um ihr Potenzial voll zu entfalten und die international vereinbarten
Entwicklungsziele, einschließlich der Millenniums-Entwicklungsziele, zu
erreichen.
3. Wir bekräftigen, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten,
einschließlich des in der Erklärung von Wien verankerten Rechts auf
Entwicklung, allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und
miteinander verknüpft sind. Wir bekräftigen außerdem, dass Demokratie,
nachhaltige Entwicklung, Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten
sowie gute Regierungsführung auf allen Ebenen einander bedingen und sich
gegenseitig verstärken. Wir beschließen ferner, die Achtung vor der Herrschaft
des Rechts sowohl in den internationalen als auch den nationalen
Angelegenheiten zu stärken.“
„2. Dem Internetvölkerrecht fehlt es an
normativem Gehalt“
Michael Riegner argumentiert, dass dem Völkerrecht der
normative Gehalt fehle, um nationale Internetpolitik „determinieren“ zu können.
Ich stimme ihm zu, dass es ein langsamer, evolutionärer Prozess ist. Nur ist es
nicht so, dass das Internetvölkerrecht Regeln neu erfinden müsste. Schon der
UN-Menschenrechtsrat hat in Resolution 20/8 bestätigt, dass alle Menschenrechte
die offline gelten, dies auch online tun. Niemand will (und niemand muss) neues „Internetvölkerrecht“
erfinden. Als „Internetvölkerrecht“ gelten eben auch jene menschenrechtliche
relevanten Normen, die auf menschliche Tätigkeit im Netz angewandt werden.
Michael müsste man also so verstehen, dass das globale
Menschenrechtsschutzregime (das qua Relevanz für das Internet auch Bestandteil
und sogar Fundament des Internetvölkerrechts ist) nicht in der Lage sei,
staatliches Verhalten zu lenken. Damit hinterfragt er den Menschenrechtsschutz
generell, da es ja in der Tat keinen dogmatisch wie rechtstheoretisch
spannenden Unterschied macht, ob willkürliche Zensur eines Website oder einer
Radiosendung völkerrechtlich untersagt wird.
Hier haben es jene einfach, die von der normativen
Relevanz menschenrechtlicher Bestimmungen für staatliches Verhalten ausgehen,
hat sich doch das Menschenrechtsschutzsystem über Jahre höchst effektiv
gezeigt. Ja, im Einzelfall werden völkerrechtliche Normen verletzt. Ja, Staaten
zensieren das Internet. Aber wie schon erwähnt: Staaten foltern auch, ohne dass
dies das Folterverbot in Frage stellen würde. Mit Recht und mit Recht (nämlich mit Völkerrecht) werden sie
dafür kritisiert. Ebenso kritisiert werden sollten die vagen Ausführungen des
AB der WTO im Streitschlichtungsverfahren China-Audiovisual Services, auf das
Michael Bezug nimmt. Aussagen zur langfristigen Entwicklung des
Menschenrechtsschutzes von Online-Aktivitäten lassen sich aus dem Fall allerdings
nicht entnehmen.
Das Internetvölkerrecht wird also nicht neu „erfunden“,
sondern nur aus verschiedenen völkerrechtlichen Rechtsmaterien herausgelöst –
also eher „gefunden“ und dann im Lichte der Dialektik zwischen
Rechtfertigungsansprüchen und Rechtfertigungsnarrativen der Stakeholdergruppen
de- und rekonstruiert. Auch das ist ein
langwieriger Prozess, aber bei weitem nicht so kontrovers wie Michael ihn sich
vorstellt.
Ich bezweifle
auch nicht, dass Radio und Zeitung wichtig sind, aber das Internet hat doch
aufgrund seiner Struktur und seines Emanzipationspotenzials ganz andere
Wirkungen auf die menschliche Sozialität und Sozietät – und bedarf daher eines anderen
Schutzes.
Ich sehe auch
keinen Widerspruch in rechtswissenschaftlicher Begleitung von rechtspolitischen
Prozessen, die in der Tat sehr dynamisch ablaufen: Ende April tagte in Sao
Paolo NetMundial. Die dort in Multistakeholderprozessen entwickelten Prinzipien liefern wichtige Hinweise auf die Richtung, in
die sich das Internetvölkerrecht bewegen wird. Sie sollten Pflichtlektüre
werden für alle rechtlich wie politisch Interessierten. Auch der offenen,
webbasierte, multistakeholder-orientierte Prozess ihrer Erarbeitung hat bei
allen Schwächen Beispielcharakter für zukünftige normative Prozesse in ähnlich
gelagerten normativen Konstellationen (Disclaimer: Ich war Mitglied im
Exekutivkomitee, das den Text vorbereitet hat).
„3. Die
Steuerungsfähigkeit des Internetvölkerrechts ist begrenzt“
Über
Steuerungsfähigkeit des Völkerrechts wurden schon sehr viel geschrieben. Darauf
verweise ich gerne auch in Bezug auf das Internetvölkerrecht. Es ist klar, dass
es schwer ist, den Einfluss völkerrechtlicher Diskurse auf nationale Politikentwicklung
im Einzelfall nachzuvollziehen. Allerdings zeigen Initiativen unterschiedlicher
Akteure – Unternehmen, Staaten, Zivilgesellschaft - dass sie sich zu völkerrechtlich
beeinflussten Prinzipien zur Internet Governance bekennen.
Es ist das
Völkerrecht und das völkerrechtliche Menschenrechtsschutzregime, das es erst
ermöglicht, über globale Überwachungsprozesse ernsthaft zu reden und diese zu
kritisieren. Ohne Völkerrecht stünden wir Überwachten sehr nackt da.
Die zitierte Compliance-Forschung macht wichtige Beiträge zu einem besseren
Verständnis völkerrechtlicher Strukturen, doch ringt sie zu häufig mit in der
Völkerrechtswissenschaft schon geschlagenen Schlachten. Wenn in dem zitierten
Beitrag eingangs von der „anarchic nature of the
international system“ die Rede ist und Fragen wie „Is international law really
“law”?“ gestellt bzw zitiert werden (1), dann setzt eine gewisse Müdigkeit ein.
Und ohne die Rolle von Indikatoren geringzuschätzen, mag auch der fast schon
ideologische Fokus auf quantitative Forschungen in sozialwissenschaftlicher
Literatur irritieren, da er normative Elemente ausblendet und regelmäßig blind
ist gegenüber der der Empirie eingeschrieben sozialen Konstruiertheit. Anders
formuliert: Auch Indikatoren sind Konstruktionen und auf ihnen beruhende
Argumente ebenso reflexiv zu bewerten wie normative Ansätze. (Interessant, dass
diese Diskussion auch im nationalen Kontext nicht
ausbleibt.)
„4. Das Internetvölkerrecht muss Legitimitätsbedenken aus
dem Globalen Süden selbstkritisch begegnen“
Dem kann ich nur
zustimmen. Auch bin ich ganz bei Michael, wenn er schreibt, dass eine „universelle völkerrechtliche Ordnung des Internets […] nicht per se wünschenswert“ ist. Deswegen habe
ich ja funktional argumentiert. Das Völkerrecht schützt das Internet nicht als Ding an sich, sondern als Mittel zum
Zweck und der Zweck liegt u.a. im Menschenrechtsschutz und in der Förderung
menschlicher Entwicklung. Ich bin auch bei Michael, wenn er kritisiert, dass
zentrale Werte wie „Transparenz, Inklusivität und Accountability,
Entwicklungsorientierung und Menschenzentriertheit“ dem Internetvölkerrecht „weder a priori eingeschrieben [sind], noch ist
seine Zukunft automatisch darauf gerichtet“. Nicht a priori, nicht automatisch
– aber normativen und positiv. Wer dies in Abrede stellt, ignoriert (oder missversteht)
die Entwicklung von Internet Governance Prinzipien über die letzten Jahre, den
Internet Governance Forum-Prozess und blendet die Diskussion bei NetMundial
ebenso aus wie die parallel laufenden Prozesse im Rahmen mehrere
UN-Unterorganisationen.
Ich bin ein großer Fan von „selbstbewusste[r]
Völkerrechtspolitik im Globalen Süden“, doch das NetMundial in Sao Paulo
stattgefunden hat, lag daran, dass Präsidentin Rousseff wütender war über die
Abhöraktion der amerikanischen Sicherheitsbehörden als Bundeskanzlerin Merkel.
Letztere meinte, so etwas gehörte sich nicht unter Freunden, erstere schlug bei
der UNO-Generalversammlung ganz andere Töne an, präsentierte Prinzipien zur
Gestaltung internationaler Internetpolitik und lud zu NetMundial ein (dies gemeinsam
mit dem Chef von ICANN, der (auch) andere Interessen hatte, aber dies steht auf
einem anderen Blatt).
Nicht ganz zutreffend ist auch, dass Internetgipfel heute
primär im Globalen Süden stattfinden. Diese sind dem Prinzip geographischer
Neutralität folgend weltweit verteilt. Das Internet Governance Forum der
Vereinten Nationen fand bisher in Athen, Rio, Hyderabad, Sharm El Sheikh,
Vilnuis, Nariobi, Baku und Bali statt. 2014 ist Istanbul an der Reihe. Und Genf bleibt weiter
als Sitzungstadt relevant. Ein
paar Tage nach NetMundial fand dort das Treffen
der Working Group to examine the
mandate of WSIS [the World Summit on the Information Society process] regarding
enhanced cooperation as contained in the Tunis Agenda (Working Group on
Enhanced Cooperation (WGEC)) statt. Schon der hochtechnische Titel zeigt, wie weit sich das Internetvölkerrecht
entwickelt hat.
“5.
Kommunikative Völkerrechtswissenschaften
als Zukunftsaufgabe”
Wieder ganz bei Michael bin ich,
wenn er abschließend schreibt „Selbstkritik ist also wichtige Zukunftsaufgabe
der Völkerrechtswissenschaft. Dazu gehört die Einsicht, dass Völkerrecht nicht
nur juristischer Elitendiskurs sein darf.“
Ich würde verallgemeinern: der Diskurs um jede normative Ordnung muss
ein Diskurs sein, an dem sich alle beteiligen, die von dieser normativen
Ordnung betroffen sind. Das mag jetzt nach Habermas oder Rawls klingen (und in
der Tat trennt uns ein Schleier des Nichtwissens vom Internet der Zukunft),
doch sind die daraus zu ziehenden Schlüsse sehr real. Jedoch wir die Forderung
– das muss kritisch eingestanden werden – stets in einem Spannungsverhältnis
dazu stehen, dass sich in allen normativen Prozessen (auf lokaler, regionaler,
staatlicher, internationaler Ebene) immer eher die (Funktions-, Geld-, Macht-,
Wissens-)Eliten beteiligen. Ein Ansatz der helfen kann, ist jener der an meiner
Arbeitsstelle hier in Frankfurt am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ verfolgt wird. Wir untersuchen die Spannung zwischen der normativen Kraft des Faktischen und der faktischen Kraft des Normativen integrativ aufzulösen. Dabei verstehen wird normative
Ordnung wie die Gründer des Clusters Forst und Günther schreiben, als Rechtfertigungsordnungen, „die historisch
gegründet sind und auf „Rechtfertigungsnarrativen“ beruhen. Sie zeichnen
bestimmte Legitimationen aus, wobei Normen und Werte verschiedenster Art
(Moral, Recht, Religion, um nur einige zu nennen) ineinander greifen bzw.
Spannungen erzeugen. Solche Ordnungen legitimieren sich aus bestimmten Normen
und bringen ihrerseits Normen hervor, doch stets in einem dynamischen Sinne.“
Eine normative Dynamik wird auch die Zukunft des Internetvölkerrechts
prägen. In seinem Artikel
in der aktuellen EJIL über The End of Geography: The Changing Nature of the
International System and the Challenge to International Law schreibt Daniel Bethlehem, “[t]he
international law dealing with cyber space is in its infancy […].” Er hat
Unrecht: Das Internetvölkerrecht krabbelt nicht herum und nuckelt am Schnuller.
Es ist schon in der Pubertät, hat
Pickel (normative Auswüchse) und ist voller Hormone (schießt manchmal übers
Ziel hinaus). Das macht es uns – wollen wir uns nun als Eltern, Lehrer oder
einfach interessierte Nachbarn sehen – nicht einfacher. Doch wir dürfen uns
nicht aus der Verantwortung stehlen, in dem wir dem Internetvölkerrecht
Relevanz oder Lenkungswirkung absprechen. Positiv stabilisierte wie normative
Ansätze sprechen dagegen. Zu vielfältig sind die Wege der Effektuierung des
Internetvölkerrechts und zu groß seine Relevanz und Lenkungskraft.
No comments:
Post a Comment